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Textiltapete, beige mit brauen  Fäden, sieht aus wie aufgeklebt. Und war damals hochmodern.

In der Ecke vor dem Fenster der Wohnküche steht sie normalerweise. Dunkelbraun glänzend lackiert, ein hellgrünes Häkeldeckchen drauf. In der braunen Muranoglas-Vase ein Stiel Pfeifenputzergras 

manchmal auch Silbertaler aus dem eigenen Garten.

Oft ist sie jedoch auf.

Der Deckel wird zur Seite aufgeklappt und auf der nach links geöffneten Tür abgelegt. Bildet so einen kleinen Tisch, auf dem gearbeitet werden kann. Die Maschine selbst, natürlich eine Pfaff, wird aus der Versenkung hochgeholt. Unten im Schrank ist noch Platz für ein kleines Kästchen mit Spulen, Garn, Bandmaß und für Stoffreste zum Ausprobieren.

Diese Maschine, schon vollautomatisch, hat einen halben Monatslohn gekostet.  Und sie wird genutzt, Arbeitskleidung wird geflickt,  die Jeans des Bruders.

Tischdecken aus Dralon werden genäht und an langen Abenden umhäkelt.

Übergardinen werden erneuert, auch gibt es mal ein Kleid für mich aus dem Burda-Schnittmusterheft.

Mutter hat das bei ihrer Mutter gelernt, die war Schneiderin von Beruf. Weißes Perlon, ein  ganz neues Gewebe,  Kunststoff, bügelfrei, daraus macht sie mir ein Kleid, Empire-Stil, unterm Busen weit fallend. Kurz natürlich. Es ist halsfern, nur eine Kordel durchgezogen. Das Oberteil bestickt sie über und über mit roten Blumen. Russisch. Das ist das Kleid für meine erste Party. Es war ein Erfolg.

Die Maschine hat Rollen, kann vors Fenster gerückt werden.

Auf fast gleicher Höhe, nur etwas weiter in den Raum steht der massive Esstisch, mit einer Schublade in der Mitte der Schmalseite. Darin Mutters Knopfsammlung, oft mein Spielzeug an Wintertagen. Die Knöpfe haben dann Namen, sind Kinder, Lehrer, Tiere, Vater,  Mutter.

Am Tisch vier Stühle, an der einen Längsseite zwei, oben und unten einer. Dahinter das Chaiselongue.

Auf dem Tisch liegt, es sei denn, es kommt angekündigter Besuch, das Wachstuch, praktisch, abwaschbar.

Und es riecht immer nach Essen. Eine Blechkanne mit Kaffee steht stets hinten auf dem großen Kohlenherd . Und täglich wird ein komplettes Essen gekocht. Dienstags sind es immer Nudeln, Bratkartoffeln und Salat. Der,  im Winter ersetzt durch eingekochtes Obst.

Oder im Sommer, Bohnen, Möhren und Kartoffeln durcheinander. Darüber reichlich Speck und gebratene Zwiebeln. Dazu fettes Dürrfleisch. Leckerbissen. Für den Kindermund zu viel Fett.

Ich decke den Tisch. Hole vier Teller aus dem  Buffet, ein dunkelbrauner Schrank mit Aufsatz. Rechts und links eine Tür, in der Mitte Schubladen, alles bauchig vorgewölbt.

Die Türen des Aufsatzes haben Butzenscheiben, dahinter gehäkelte Gardinen. Ich schaue nochmal auf den Tisch, drehe mich um und betrachte das Zimmer.

Hell die Umrisse des Schrankes auf der Tapete, eingerahmt von einem dunklen Schmutzrand.

In der Kaminecke auf einer Fläche von 40 mal 50 sind keine Fäden mehr an der Tapete. Hier hatte Hansi seinen Käfig.

Auf dem Dielenboden Brandflecke, wo der Herd stand Abdrücke der eisernen Füße.

Ich bücke mich.

In der Ritze zwischen zwei Dielenbrettern blitzt etwas, ein Stecknadelkopf, vorm Fenster. Vorsichtig ziehe ich sie, mit Daumen-und Zeigefingernagel fassend, heraus.

Noch einmal schau ich mich um im leeren Raum. Dann schließe ich die Tür.

Ein letztes Mal.